Wichtiges Urteil: Gesundheitliche Auswirkungen von Mobilfunksendern sind zu prüfen
Oberverwaltungsgericht Münster fällt wichtiges letztinstanzliches Urteil
Anliegerrechte gestärkt, Hürden für Mobilfunkindustrie erheblich höher gelegt
Baugenehmigungsbehörden müssen ab sofort gesundheitliche Auswirkungen der Mobilfunksender in eigener Zuständigkeit prüfen
Anwaltskanzlei: "Jetzt kommt es knüppeldick für die Mobilfunkbetreiber" - "Schockwelle"
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat ein wichtiges Urteil gefällt, das Signalwirkungen für andere Gerichte in ganz Deutschland haben dürfte. Das Gericht schließt sich damit der Rechtsauffassung von Prof. Kniep weitestgehend an, die erst kürzlich in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde.
Die Baugenehmigungsbehörden müssen danach künftig in Eigenverantwortlichkeit prüfen, ob der jeweilige Mobilfunksender schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Anwohner haben könnte. Die Anwohner können somit bei jedem einzelnen Sender gegen die Erteilung der Baugenehmigung vorgehen, indem sie wissenschaftliche Unterlagen vorlegen, die schädliche Folgen der Sender unterhalb gültiger Grenzwerte durch athermische Effekte belegen. Das Urteil erweitert die Anwohnerrechte in erheblichem Maße und schwächt die Position der Mobilfunkbetreiber, denn Baugenehmigungen für Mobilfunksender können ab sofort nicht mehr automatisch erteilt werden, da gesundheitliche Auswirkungen durch die Baugenehmigungsbehörden in eigener Zuständigkeit geprüft werden müssen. Hieraus ergeben sich stark verbesserte Klagemöglichkeiten der Anwohner insbesondere auf verwaltungsrechtlichem, aber auch auf zivilrechtlichem Weg, auch für bereits bestehende Anlagen.
Erteilen Baugenehmigungsbehörden dennoch automatisch Baugenehmigungen oder widerrufen sie diese nicht rückwirkend, wenn Anwohner wissenschaftliches Beweismaterial vorlegen, können Anwohner mit einer Untätigkeitsklage auf verwaltungsrechtlichem Wege gegen das entsprechende Bundesland vorgehen und Nutzungsuntersagung für den Sender verlangen.
Damit dürfte sowohl auf die Baugenehmigungsbehörden als auch auf die Verwaltungs- und Zivilgerichte eine Welle von Beschwerden und Klagen zukommen. Die Erteilung von Baugenehmigungen für Mobilfunksender wird erheblich erschwert, die Rechte der Anwohner werden gestärkt, da diese neue Klagemöglichkeiten erhalten.
Quelle: Rheinische Post, 06.03.2003
Gericht rüttelt an Sendemasten
Ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes
Münster nimmt die
Baugenehmigungsbehörden in
die Pflicht: Gesundheitliche Auswirkungen der
Mobilfunkmasten sind zu prüfen.
Von THOMAS WELS
DÜSSELDORF. Die Gegner von Mobilfunk-Sendeantennen
dürfen sich freuen,
Mobilfunk-Unternehmen und die meist
mittelständischen Antennenbauer müssen
schwere Behinderungen fürchten:
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat in
einem gestern zugestellten Beschluss
"drei wesentlich neue Leitlinien für den
Nachbarschutz gezogen", sagte Cornel
Hüsch von der Neusser Kanzlei Hüsch
& Partner.
Der Verwaltungsrechtler zählt
in Sachen Mobilfunkantennen zu den
bewandertsten Anwälten, im
September 2001 erstritt Hüsch die Pflicht zur
Baugenehmigung für Sendemasten.
Diese Baugenehmigungspflicht hat bereits zu
einem erheblichen Stau beim Aufbau
der Masten geführt. In der Branche heißt es,
allein bei Vodafone D 2 lägen
150 Millionen Euro auf Eis. Eine Bestätigung von
Vodafone gab es dazu nicht.
Der weitere Ausbau mit den umstrittenen
Sendemasten dürfte jetzt noch schwerer
werden. Möglicherweise "müssen
auch Antennen in den Innenstädten wieder
abgehauen werden", so Hüsch
im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Qualität des
OVG-Beschlusses sei für den
Nachbarschutz in Wohngebieten von immenser
Bedeutung, für die Mobilfunkbetreiber
komme es "knüppeldick". In drei
wesentlichen Punkten habe das OVG
betroffenen Nachbarn neue Klagemöglichkeiten
eröffnet und die Prüfpflicht
der Behörden erweitert:
Optik der Anlagen: Erstmals
habe das OVG von den Gemeinden verlangt, auch die
"optischen Auswirkungen der Mobilfunksendeanlage
in den Blick zu nehmen", wenn
es um die Beurteilung "nachbarrechtlicher
Belange geht", wie es in dem Beschluss
heißt. Im Klartext: Sieht
eine Antenne im Wohngebiet besonders hässlich aus,
könnte sie als "störender
Gewerbebetrieb" eingestuft werden.
Umweltschäden: Die Baugenehmigungsbehörde
muss nach dem Beschluss "in eigener
Zuständigkeit prüfen,
ob schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden".
Dazu zählen auch die besonders
umstrittenen Strahlenemissionen. "Der Bereich der
gesundheitlichen Störungen
war bisher völlig außen vor und muss jetzt geprüft
werden", so Hüsch.
Sicherheitsabstand: Sollte
der Sicherheitsabstand der Antennen (dieser weist
einen Radius von fünf bis neun
Metern aus) auf dem Grundstück eines Nachbarn
liegen, so könne der den Abriss
fordern, falls er seine eigene Bautätigkeit
beeinträchtigt sieht. Die Behörde
muss jetzt also prüfen, ob Nachbarn betroffen
sind.
Hüsch zeigt sich von der Wirkung
des Beschlusses (Az.: 10 B 2417/02) überzeugt:
"Die Baugenehmigungspflicht war
ein Erdbeben, das wird eine Schockwelle."
In der Tat: "Das gefährdet massiv
Arbeitsplätze gerade im Mittelstand", sagt
Klaus-Dieter Maaß, Chef eines
Antennenbaubetriebs mit 35 Beschäftigten in
Hamminkeln. Sein Unternehmen allein
habe jetzt schon 110 Bauanträge auf Halde
liegen, deren Genehmigung nicht
voran komme. "Die Beamten wissen nicht mehr,
nach welchen Kriterien sie Genehmigungen
erteilen sollen." Dazu komme die Angst,
für etwaige Strahlenschäden
haftbar gemacht zu werden. Das dürfte jetzt noch
schlimmer werden.
Bei Vodafone D 2, die in dem OVG-Eilverfahren
teils unterlegen waren, hieß es,
es handele sich um eine Einzelfallentscheidung.
Planungsrechtlich gebe das OVG
zwar Hinweise, Entscheidungen seien
aber nicht gefallen. Hüsch dazu: "Die
Behörden müssen den letztinstanzlichen
Beschluss umsetzen."