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Der Kampf eines Radartechnikers, der an Leukämie erkrankte

Quelle: Reutlinger General-Anzeiger, 31.07.2002

Neckar und Erms / 31.07.2002

Der Kampf um die »streitfreie Entschädigung«

Der 53-jährige Metzinger Wilhelm Drechsler ist einer von 2 000 strahlengeschädigten Soldaten der Bundeswehr

Von Rudolf Leins

Metzingen. (GEA) Ein Kämpfer war Wilhelm Drechsler schon immer. Jetzt geht er auch keinem Streit mehr aus dem Weg. Er streitet mit der Bundeswehr. Beim Dienst in den Jahren 1967 bis 1973 bei der Flugüberwachung in Meßstetten hat er seine Gesundheit verloren. Er erkrankte an akuter myoloischer Leukämie. Jetzt kämpft er darum, der Bundeswehr allermindestens das Eingeständnis abzuringen, dass damals Fehler gemacht worden sind.

Wilhelm Drechsler (53) aus Metzingen ist einer von rund 2 000 Soldaten, die im Strahlungsbereich von Senderöhren an Radaranlagen gearbeitet haben und die an verschiedenen Krebsarten erkrankt sind. Viele von ihnen sind inzwischen gestorben.

Wilhelm Drechsler ist noch einmal davongekommen. Aber er ist 1998 an Krebs erkrankt. Die Prognose war äußerst schlecht damals. Doch nach Chemotherapie, Ganzkörperbestrahlung und vor allem einer Stammzellentransplantation scheint die Krankheit im Griff zu sein. Er ist in »hundertprozentiger Remission«, das heißt, zur Zeit ist nichts vorhanden, was auf eine weitere Krebserkrankung hinweist.

Abstoß-Reaktionen

Gut geht es ihm deshalb noch lange nicht. Die Stammzellen, die von seiner Schwester gespendet worden sind und die eigentlich optimal passten, riefen dann doch Abstoß-Reaktionen bei ihm hervor. Er muss aus diesem Grund sein Leben lang Medikamente nehmen, um diese Abstoß-Reaktionen zu unterdrücken. Natürlich hat das Nebenwirkungen. Er leidet unter Gehbeschwerden und Schlafstörungen, wurde am Grauen Star operiert, hat Gehörprobleme und ist körperlich nur sehr eingeschränkt belastbar.
 

Dass Drechslers Krankheit mit der Strahlenbelastung beziehungsweise mit den Folgen der Transplantation zu tun hat, erzählt er, haben ihm alle behandelnden Ärzte bestätigt. Die Strahlung, der er und seine Kameraden ausgesetzt waren, war schließlich gewaltig. Heute gebe es Einsprüche, wenn irgendwo ein Funkmast mit einer Leistung von fünf Milliwatt eingerichtet werden soll. Die Röhre des Senders damals leistete fünf Megawatt.
 

Sie war geeignet, Neonröhren zum Leuchten zu bringen und Hähnchen zu grillen. Drechsler: »Bei Führungen damals haben wir das hin und wieder demonstriert. Doch keiner hat uns gesagt, dass das gefährlich ist«. Entsprechende Vorschriften zum Schutz der Soldaten bestanden nicht. Die Strahlung war dann besonders hoch, wenn die Röhre nicht abgedeckt war. Doch »die Abdeckung war eigentlich immer offen«, sagt Drechsler.
 

Die Krankheit ist das eine, ihre finanziellen Folgen sind das andere große Problem. Wilhelm Drechsler hatte eine florierende Firma, die sich mit dem Recycling von Einwegprodukten in der Medizin befasst hatte. Die lange Zeit der Krankheit und der Therapie führte dazu, dass sie verloren ging. Zunächst zahlte die Krankenkasse. Doch sie hat die Überweisungen eingestellt. Inzwischen sind die finanziellen Mittel der Familie fast aufgebraucht.
 

Dies ist die erste der vielen Fronten, an der Drechsler heute kämpft. Er will, er muss erreichen, dass die Versicherung wieder zahlt. Zudem geht es darum, dass seine Leidensgenossen und er jene Beiträge für die Altersversicherung ausgeglichen bekommen, die durch die Krankheit verloren gegangen sind. Eine Sammelklage wegen Schmerzensgeld und Schadensersatz ist außerdem angestrengt.
 

Die Betroffenen haben sich zum Bund für strahlengeschädigte Radartechniker zusammengeschlossen. Drechsler nutzt jede Gelegenheit, die Öffentlichkeit auf diesen Fall aufmerksam zu machen. Er schreibt an Politiker, sammelt Unterschriften und sucht die Diskussion mit den Kandidaten. Gerade vor der Wahl liegt ihm viel daran, klar zu machen, »was das Wort eines Politikers heute bedeutet, und vor allem was nicht.« Der damals zuständige Verteidigungsminister hat eine »großherzige, streitfreie und rasche« Entschädigung zugesagt. Doch von den 2 000 Fällen, die bekannt sind, sind heute gerade mal acht anerkannt.

»Gesundheitsstörung«

Es geht Drechsler nicht darum, den verantwortlichen Politikern von heute nachzuweisen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Es würde reichen, wenn die Bundeswehr als Institution einräumen würde, dass Fehler passiert sind. Damit müsse nicht einmal das Eingeständnis eines persönlichen Fehlverhaltens verbunden sein. Drechsler: »Die Bundeswehr muss die Leute wie andere Arbeitgeber behandeln.« Und wenn in einem privaten Unternehmen Fehler mit Folgen passieren, rufen »Politiker sämtlicher Farben nach Entschädigung für die Opfer«.

Nur bei der Bundeswehr gelte das offenbar nicht. Sie setze auf Tarnen, Täuschen und Verzögern. Und die Drechslersche Krankheit wird als »Gesundheitsstörung« umschrieben. Drechsler: »Wir fühlen uns nicht als ehemalige Mitarbeiter behandelt, sondern als Kanonenfutter.« Er wird alles dafür tun, dass »der Versuch der Bundeswehr, auf eine biologische Lösung des Problems zu setzen, scheitern wird«.

Drechsler sieht »sichere Zeichen, dass Ähnliches immer wieder passieren kann« und weist als Beispiel auf die möglichen Folgen der Uranmunition hin, die im Kosovo verwendet worden ist. »Es darf nicht wieder vorkommen« sagt er. Auch dafür will er kämpfen und dabei keinem Streit aus dem Weg gehen.

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