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Valley-Sender soll weg: Ein ganzes Dorf ist krank

Quelle: Der Spiegel, Ausgabe 22 vom 27.05.2002, Seite 54

Dröhnen in der guten Stube

Ein bayrisches Dorf legt sich erfolgreich mit der US-Regierung an: Ein gewaltiger Sender soll weg, das Auswärtige Amt fürchtet diplomatische Verwicklungen.

In Oberlaindern wäre gut leben. Saftige Wiesen gibt es dort und glückliche Kühe. Weiße Kirchtürme, den nahen Tegernsee und die Alpen. Hier haben sich Dutzende ihr Häuschen im Grünen gebaut – und wurden krank. Im Dorf, sagt der Ortspfarrer Pater Nicolai, habe in jedem Haus einer Krebs, manchmal seien es zwei.

Die Schuld geben die Bürger den Vereinigten Staaten. Denn mitten hinein in die Postkartenidylle ragen fünf Masten des US-Senders International Broadcasting Bureau  (IBB); sie senden mit der Leistung von einer Million Watt bis nach Zentralasien.

Seit 51 Jahren betreiben die USA von Oberlaindern in der Gemeinde Valley aus die akustische Befreiung des Ostens. Nach 1945 als „Radio Free Europe“, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als „Radio Liberty“. Nun soll Schluss sein. Nach zähem Kampf haben die 2000 Bürger Valleys plötzlich den Bundestag auf ihrer Seite. Vorvergangene Woche beschloss der Petitionsausschuss einstimmig, die Bundesregierung möge den Amerikanern den Pachtvertrag für das Areal kündigen.

Denn seit Jahrzehnten klagen die Dörfler über die gleichen Symptome: chronische Kopfschmerzen, Ohrengeräusche, Müdigkeit, Herzrhythmusstörungen und im schlimmsten Fall Krebs. Schon Kinder wachen jede Nacht schweissgebadet auf. Dass die Krankheiten vom Sender kommen, glauben alle in Valley. Aber einen Beweis,  meint auch Bernd Tremml, Anwalt der Gemeinde, gebe es nicht: „Wir haben noch zu wenig Tote“.

Auch der Feinkosthändler Georg Kleeblatt bleibt zurückhaltend. „Es ist halt etwas ungewöhnlich“, sagt er schlicht. Seine Frau starb an Krebs, er selbst schläft seit Jahren im Keller, um Ruhe zu finden. Denn überall in der guten Stube hört Kleeblatt IBB. Um 19 Uhr dröhnt aus der elektronischen Heimorgel russisches Gebrabbel, dann startet die Sendung für Zentralasien. In der Korbinianskirche nebenan mussten sie eine mechanische Orgel kaufen, weil die elektronische streikte. In anderen Haushalten dringt Radio Liberty aus Spülbecken und Telefonen. Besonders schlimm sei es seit dem 11. September. Seither flimmere es permanent im Fernseher, die U.S. Army in Afghanistan braucht Infos aus dem Oberland.

Dabei waren die amerikanischen Nachbarn hilfsbereit. Wo IBB die Elektronik störte, rückten sie an und isolierten. Manche Maschinen liefen wieder, die Kopfschmerzen aber blieben. Dass ihre Station die Menschen krank macht, hält die Sendeleitung gleichwohl  für Unsinn. Die Grenzwerte würden eingehalten.

Unbeirrt klagte Valley vegangenes Jahr vor dem Federal District Court in Washington gegen die USA auf Schliessung des Senders. Die Klage wurde zugelassen, die erfolgreiche Petition in Berlin kommt da wie gerufen. Für die Bürgerinitiative ist sie „der wichtigste Etappensieg“ – wäre da nicht die Weltpolitik.

Denn für das Auwärtige Amt ist das Dorf im Nirgendwo Stützpunkt im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Schliesslich versicherte Bundeskanzler Gerhard Schröder, so merkt auch der Petitionsausschuss an, den USA nach den Terroranschlägen uneingeschränkte Solidarität. Und gerade jetzt messe Amerika dem Sender grosse Bedeutung bei. Das Auswärtige Amt hält es „mit Blick auf die diplomatischen Beziehungen zu den USA“ deshalb für erforderlich, dass ein wissenschaftlich einwandfreier Nachweis für die gesundheitliche Belastung vorgelegt wird. Den aber kann es kaum geben, denn ob Elektrosmog Menschen schädigt, ist höchst umstritten. Die Bürger bleiben also skeptisch. Sie glauben erst an den Sieg, sagt einer, „wenn die Masten im Gras liegen“.

Conny Neumann

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